Hans Jansen  Autor dieses Artikels ist Hans Jansen - Funker auf Zerstörer 5


                      
 
Eine sehr persönliche Reisebeschreibung

Am 6. Januar 1960, gehörte ich zur Besatzung, die nach Amerika geflogen wurde, um dort  Zerstörer 5 zu übernehmen. Dort, in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, bekam ich dann meine ersten Eindrücke von einem Land, das gegen die Sklaverei im eigenen Land gekämpft und sich Freiheit auf seine Fahne geschrieben hatte.
Meine erste Erfahrung mit Demokratie in diesem Land, war denkbar schlecht. Um in die Stadt Charleston zu kommen, nahmen wir den öffentlichen Bus. Meine drei Kameraden und ich steigen ein, werfen unser Fahrgeld in ein, dafür vorgesehenes Gefäß, und setzen uns hinter eine Gruppe schwarzer Amerikaner. Da der Busfahrer keine Anstalten machte loszufahren, dachten wir schon, er dürfte keine Marinesoldaten mitnehmen.
Nach einer Weile drehte sich unser Vordermann um, und bat uns, andere Plätze einzunehmen, sonst würde der Bus nicht losfahren. Total schockiert folgten wir seiner Bitte, und setzten uns um. Und siehe da, der Bus fuhr los. Was war hier los? Rassentrennung in einem öffentlichen Bus? Mein Bild von Amerika begann sich dunkel einzufärben.
Dieses Land hatte natürlich überwiegend angenehme Seiten. So gab es in unserem Stützpunkt überall Cola-Automaten. Privathaushalte hatten alle Telefon, vor jedem Haus, und sei es noch die schlimmste Bruchbude, stand mindestens ein Straßenkreuzer, und auf dem Dach war eine Fernsehantenne angebracht.
Alles das und vieles mehr, was es bei uns in Deutschland so nicht gab.

Norfolk / Virginia

Nachdem wir den Zerstörer übernommen hatten, führte uns die erste größere Trainingsfahrt, nach Norfolk / Virginia, der größte Marinehafen der US-Navy. Wir konnten jedoch nicht sofort einlaufen, weil sich vor den Toren des Hafens eine protestierende Menschenmenge eingefunden hatte, die sich erst zerstreute, nachdem die Marineleitung ihnen versichert hatte, dass die Deutschen nur mit einem, in Amerika gekauften Schiff, mit amerikanischen Ausbildern an Bord, nicht in kriegerischer Absicht kamen. Das große Schlachtschiff wäre in Deutschland geblieben. Das große Schlachtschiff? Ein Witz? Nein beileibe nicht. Irgendwann hat wohl jemand von einer früheren Besatzung, das Gerücht in die Welt gesetzt, wir Deutsche hätten ein riesiges Schlachtschiff, auf dem allein 200 Friseure Dienst täten, damit alle Besatzungsmitglieder mit einem vernünftigen Haarschnitt herumliefen. Gleichzeitig war auch noch aus den Musikboxen das Lied zu hören war: „Geht hin, versenkt die Bismarck, der Deutschen größtes Schiff“. Dann braucht man nur zwei und zwei zusammenzählen und schon könnte es doch stimmen. Zuzutrauen wäre es den Deutschen ja.

Key West /Florida

Die nächste Episode erlebte ich auf Key West /Florida. Verstehe die Amerikaner wer will, manchmal fällt es mir schwer. Da schicken die doch 18jährige in den Krieg, und wenn sie dann nach Hause kommen, und möchten sich in einer Kneipe ein Bier trinken, dann heißt es, unter 21 kein Eintritt bzw. kein Alkohol.
Das war natürlich auch unser Problem. Wir vier, alle unter 21, schlendern so durch die Gegend. Da bleibt auf der anderen Straßenseite ein älteres Ehepaar stehen, geht weiter, bleibt wieder stehen, dreht sich um, er spricht etwas zu
seiner Frau und kommt zu uns rüber. Bei uns angekommen, schaut er fast ungläubig auf unser Mützenband und fragt ganz aufgeregt, ob wir tatsächlich von der Deutschen Kriegsmarine wären. Nachdem er aufgeklärt wurde, dass wir uns jetzt Bundesmarine nennen, gesellte sich seine Frau zu uns. Da das Paar deutsch sprach, hatten wir ja keine Verständigungsschwierigkeiten. Sie luden uns zu sich nach Hause ein, weil sie wohl an unserer Nasenspitze gesehen haben, dass wie noch keine 21 waren. Wir gingen in Richtung Strand und sahen dort eine Reihe, ins Meer gebauter Bungalows, die durch einen Steg zu erreichen waren. Auf Stelzen stehend, rundum mit einer Terrasse umgeben, war es ein herrlicher Anblick.
Als wir über die Schwelle traten, stockte mir fast der Atem. Soviel Luxus auf einen Haufen hatte ich noch nie gesehen, woher auch. Selbst aufgewachsen, als Schlüsselkind,  in einem kleinen Dorf bei Mönchengladbach, hatten wir ja noch nicht mal einen Fernseher. Alles war mit  mehreren Lagen Teppichen ausgelegt, und dann der Gang zur Toilette. Tief schwarz gefliest, mit vergoldeten Wasserhähnen und wieder Teppiche und das in einem  riesigen Badezimmer mit allen dazugehörigen Extras, wie unsere Gastgeber uns glaubhaft versicherten. Wenn ich da an zu Hause denke, an unsere Zinkbadewanne,  oder das Plumpskloo hinterm Haus. Nein, ich habe mich nicht getraut, die Toilette zu benutzen.
Zurück zu unseren Gastgebern. Das Ehepaar war 1933 von Thüringen nach Amerika ausgewandert, nicht geflüchtet. Als sie unsere fragenden Blicke sahen, erklärten sie uns, dass sie Juden wären und sich nicht an die Nachkriegspolitik der Siegermächte beteiligen möchten. Wir, die nachfolgenden Generationen würden schon begreifen, dass es besser ist, miteinander zu reden, als gegeneinander zu kämpfen. Und übrigens wäre der heutige Tag auch für sie etwas besonderes, denn wir wären so was ähnliches, wie ein Gruß aus der Heimat. Es wurden noch ein paar schöne Stunden.
Beim Abschied mussten wir ihnen versprechen, so bald wie möglich wiederzukommen. Leider wurde nichts mehr daraus. Am nächsten Tag hatten wir Funkwache, und anschließend, im Morgengrauen, liefen wir aus. Schade. Mein Bild von Amerika hatte sich gerade wieder erhellt.

Guantanamo auf Kuba

Die nächste Fahrt führte uns nach Guantanamo auf Kuba. Von dort zu berichten lohnt eigentlich nicht. Denn dort gab es weder Frauen, und wenn, dann abseits des Hauptcamps, Offiziere mit ihren Familien, noch gab es Lokale. Der einzige Treffpunkt war eine Exchange, also eine Einkaufsmöglichkeit, die aber schon um 21 Uhr 30 ihre Pforten schloss.
Was nützen schon Sportanlagen oder Freilichtkinos, wenn man Lust auf ein Bier hat? Nun, da waren wir der amerikanischen Marine meilenweit voraus. Im Gegensatz zu diesen armen Teufeln, auf deren Schiffen ein absolutes Alkoholverbot galt, hatte unsere Marineleitung dafür gesorgt, dass wir immer genügend Bier an Bord hatten. Daher kam es auch, dass wir hin und wieder Besuch von unseren Gastgebern bekamen, die mit uns auf die deutsch - amerikanische Freundschaft anstoßen wollten.
Ansonsten waren unsere Tage, es waren genau genommen, fast 6 Wochen, immer durch militärische Übungen ausgefüllt. Die einzigen Lichtblicke waren unsere Testfahrten nach San Juan auf Puerto Rico und nach Port au Prince auf Haiti. Denn dort war alles, was wir auf Kuba vermisst hatten, da.
Wenn ich schreibe alles, dann meine ich auch alles. Auf Haiti machte ich wohl eine meiner größten Erfahrungen bis dahin. Aber der Reihe nach.

Port au Prince auf Haiti

Wir liefen an einem schönen sonnigen Tag in den Hafen von Port au Prince ein. Mit uns noch drei größere amerikanische Kriegsschiffe, wir waren schließlich im Manöver gewesen. Vor uns lag noch ein Bananendampfer und noch so einige kleinere Schiffe. Eine ganze Armada kleiner  Boote kam auf uns zu, die irgendwelche Waren verkaufen wollten. Dazwischen viele Kinder, die nach Münzen tauchten, die von den Schiffen ins Meer geworfen wurden. Es war ein buntes faszinierendes Treiben. Man stelle sich den Hafen als Kulisse eines Piratenfilms vor, und man hat einen Gesamteindruck.
Dass die Zigaretten Lucky Strike ein besseres Zahlungsmittel als der Dollar wäre, darüber hatte man uns schon aufgeklärt. Wir, alle die Freiwache hatten, also durch den Zoll, oder wie nennt man das, wenn man einen Drahtverhau sieht mit einer Öffnung, daneben ein Wachhäuschen, das schon mal bessere Tage gesehen hat, und davor zwei adrett  gekleidete Beamte, die uns neugierig beäugen, um festzustellen, wodurch wir uns von den anderen Soldaten unterscheiden.
Dass wir im Mittelpunkt des Interesses der Bevölkerung standen, schob ich dem Umstand zu, dass Neugier im Spiel war, denn Amerikaner sahen sie öfter, Deutsche wahrscheinlich zum ersten Mal. Doch das war nur die halbe Wahrheit. Wir waren tatsächlich anders. Wir reagierten nicht auf die Anreden, hallo Amerikaner oder hallo Chief, was die Leute sehr verunsicherte, hatten wir doch fast die gleichen Uniformen an, wie die amerikanischen Offiziere. Einzig die Dienstgradabzeichen und die Kokarde auf unserem Käppi wiesen uns als Deutsche aus. Schnell waren die Leute dahinter gekommen, und so hörte man nur noch Germany  hier, hallo Germany dort. Nachdem wir einigen Halbwüchsigen den Wunsch nach einer Zigarette erfüllt und einigen Familienvätern ein Leasingangebot für ihre Frauen und Töchter abgelehnt hatten, näherten wir uns dem Marktplatz.
Abgesehen von dem Menschengewimmel verschiedener Rassen, die in diesem Getümmel ihre Waren anboten, bot sich uns ein ungewohntes Bild.
Von kaputten Schuhen oder einzelnen Sandalen bis Textilien, die den Namen nicht verdienten, weil sie teilweise zerrissen waren, wurde fast alles angeboten, auch was man sich nicht vorstellen kann. Die Hitze und der Geruch, der in der Luft lag, hat uns dann auch schnell vertrieben. Bis hierher hatten wir nur Elendshütten, Dreck und Staub gesehen, doch dann, nach Überquerung einer Straße am Rande des “ Marktes”, tat sich eine neue Welt auf.
Diese Welt fing an mit einem Bürgersteig, mit Mosaik ausgelegt, Vorgärten in einem satten Grün, Blumen, die wir noch nie gesehen hatten, und dahinter Häuser, nein Villen, große, kleine, viele im Kolonialstil erbaut. Krasser können Gegensätze nicht sein. Dort hunderte Menschen, die in der sengenden Mittagshitze um ihre nächste Mahlzeit feilschten, und hier Überfluss in Hülle und Fülle. Von den Besitzern dieser Herrenhäuser war nichts zu sehen, nur vereinzelt Dienstboten huschten umher, um Besorgungen zu erledigen.



Der Blinde von Radio Haiti

Wir waren von diesen Eindrücken so sehr in den Bann gezogen, dass wir nicht merkten, dass wir beobachtet wurden. Erst als sie vor uns standen, wurden wir aufmerksam. Es waren zwei Männer, einer mit tiefschwarzer Hautfarbe, der den Zweiten, einen hellhäutigen, exotisch wirkenden Typ führte, Ja, führte. Denn dieser Mann war blind.
Dieser blinde Mann sprach uns dann auf deutsch an. Ein deutsch, so rein und ohne Akzent, dass wir fast dachten, er käme aus Deutschland. Er bat uns, ihn zu seiner Arbeitsstätte zu begleiten. Sein Begleiter führte uns, und wir standen nach einiger Zeit vor dem örtlichen Radiosender. Dort verließ uns der Blindenführer.
Von einer Behinderung unseres Gastgebers war von dem Moment an nichts mehr wahrzunehmen. Während der Führung durch das Gebäude, die er in traumwandlerischer Sicherheit vollzog, erzählte er seine Geschichte.
Er wurde hier geboren, kam blind auf die Welt.  Ein paar Jahre wäre er mehr oder weniger zur Schule gegangen, und weil er nichts sehen konnte, hat er fast alles über Schallplatten gelernt, die er als Lehrmaterial erhielt.
Darunter war auch ein Sprachkurs auf Deutsch. Diese Sprache hätte in so fasziniert, dass er sich damit intensiv beschäftigte, Als er dann erfuhr, dass ein deutsches Kriegsschiff eingelaufen wäre, war er so begeistert, dass er endlich einmal mit jemanden auf deutsch reden wollte. Im Moment waren wir keiner Worte fähig. Was musste dieser Mann doch für eine Willenskraft haben. In die Stille, die eingetreten war, fragte er uns ganz zaghaft, ob sein Deutsch so schlecht wäre und wir ihn nicht verstanden hätten. Wir versicherten ihm, dass er ein wundervolles deutsch sprach. Ja, hören konnte dieser Mann. So hörte er auch den ehrlichen Unterton in unserer Stimme. Er schluckte, und dabei kullerten zwei Schweißtropfen unter seiner dunklen Brille hervor. Die Hitze machte wohl jeden zu schaffen.
Am Ende des Rundgangs kamen wir zur Sprecherkabine. Sofort wurde die Sendung unterbrochen. Der Radiomoderator oder wie soll ich das nennen, dass da vor unseren Augen mit Begeisterung ins Mikrophon brüllte, winkte uns heran, und redete abwechselnd auf uns und sein Sprechgerät ein.
Obwohl wir einen wunderbaren Dolmetscher bei uns hatten, waren wir nicht in der Lage, seinen Ausführungen zu folgen. Anschließend mussten wir uns den Hörern vorstellen. Was dann folgte, setzte dem, was wir mit unserem Begleiter erlebt hatten, noch die Krone der Überraschungen auf. Der Ansager holte aus irgendeinem Fach eine Schallplatte heraus, und legte sie auf den Plattenteller.
Dann erschallte das Lied der Deutschen, alle drei Strophen. In Deutsch? Natürlich in Deutsch. Diese Hitze. Jetzt liefen uns auch die Schweißperlen , vorne warm und hinten kalt den Rücken herunter. Nachdem unser Gastgeber uns noch einige Tipps im Umgang mit seinen Landsleuten mit auf den Weg gab, verabschiedeten wir uns, in ehrlich gemeinter Herzlichkeit.




Draußen dämmerte es bereits, so, dass wir uns ohne Übergang in das Nachtleben von Port au Prince stürzen konnten. Unser Nachtleben beschränkte sich auf ein paar schummrige Kneipen rund um das Hafengelände. In die größte und lauteste Kneipe kehrten wir ein. Mensch, war das ein Schuppen. Mit Müh und Not bekamen wir noch einen Tisch.
Nachdem sich unsere Augen an das Licht und den Tabakqualm gewöhnt hatten, verschafften wir uns erst mal einen Rundblick. Überwiegend amerikanische Seeleute. Dazwischen aber auch Tische mit deutschen Matrosen. Was besonders auffiel, waren die vielen Kellnerinnen. Nachdem wir unsere Getränke erhalten hatten, hatte ich Muße, das Durcheinander zu sortieren. Jetzt fielen mir die Worte unseres blinden Freundes ein, der gesagt hatte: ,,Wir brauchen den Dollar und die amerikanischen  Zigaretten, aber nicht den Amerikaner!”
Hier und Heute bekamen seine Worte eine praktische Bedeutung. Während  die Amerikaner, je nach Tischgröße, von ein oder zwei Frauen bedient wurden, war das Verhältnis bei den Deutschen fast ausgeglichen.
Hin und wieder verschwand dann eine von den Damen, um dann, frisch geduscht und frisiert, nach einiger Zeit zurückzukehren. Spätestens jetzt war auch mir klar, dass die Kellnerinnen hauptberuflich einen Nebenjob hatten. Ich hatte bisher noch keine Erfahrung mit dieser Art Frauen, und war auch nicht bereit oder in der Lage, diese am heutigen Abend zu sammeln. Lieber sprach ich dem Alkohol zu.
Den Weg zurück an Bord beschrieb ein aussenstehender  Augenzeuge so: ,,Wenn einer von den Vieren, den Anderen loslässt, fallen alle um!”
Neugierig geworden, fragte ich dann, was denn der Preis für ein Schäferstündchen mit den Damen wäre? Hier seine Antwort (mehrmals bestätigt): ,,Zuerst verlangen sie 4 US Dollar, dann handelst du runter bis auf 2 $. Spätestens dann kommt die Frage nach Lucky-Strike. Wenn du diese Zigaretten hast, geht sie auch für zwei Packungen mit dir ins Bett.” Der Blinde hatte wieder Recht. Wenn ich bedenke, dass ein Dollar, zu dieser Zeit ca. 4.19 DM wert war, dagegen eine Packung Lucky-Strike ca. 11 Cent an Bord kostete, dann kann ich auch verstehen, warum auf diesen Inseln so viel Tabak angebaut wird.
 
Auf der Fahrt zurück nach Guantanamo entdeckte ich dann meinen Hang zur Poesie. Angeregt durch meine Erlebnisse auf Haiti, meine ersten Gedichte:
 
Die Farbe.
Blau ist der Himmel,
blau ist das Meer,
blau bin auch ich, denn das lieb` ich so sehr.

Haiti, April 1960
 
Die Wahrheit.
Ob sie gelb sind, schwarz oder weiß,
alle Frauen haben ihren Reiz.
Manche gibt sich her aus Liebe, manche für Geld.
das findet man überall auf dieser Welt.

Haiti, April 1960
 
                                   
 
Wie schon erwähnt, war auf unserem Stützpunkt gesellschaftlich nichts los. Über Tag fuhren wir hinaus zu allerlei Übungen, die aber uns Funker nicht betrafen. Es klingt sicher überheblich, wenn ich behaupte, dass wir von den amerikanischen Kollegen nichts lernen konnten, im Gegenteil. Die haben es nie begriffen, dass Schnelligkeit und Präzision, Leben rettet, nicht die Masse an Material mit dem viele nicht umgehen können. Wir waren zwar nicht die zackigsten Soldaten, aber vom Matrosen bis zum Kapitän, eine eingespielte Mannschaft, die zu jeder Zeit in der Lage war, das Richtige, schnell und präzise auszuführen.
Ich könnte hier noch einige Beobachtungen zum Besten geben, doch dass wären sehr wahrscheinlich nur oberflächliche Eindrücke eines 18-jährigen. Nun wieder zurück zu meinem neuen Hobby. Es war mal wieder einer dieser wunderschönen Sonnenuntergänge, die mich zum schreiben veranlassten, meine Gedanken in Reimform niederzuschreiben.
 
Tatsachen in blau.
Ich steh auf einem Schiff, links von mir ein Riff,
rechts davon ein Stückchen Erde, auf dem ich niemals glücklich werde.
Über mir der blaue Himmel, unter mir die blaue See,
oben drauf ein kleines Etwas, das ist das Schiff auf dem ich steh`.
Und ist die See auch manchmal rau, ob`s stürmt oder schneit im Morgengrau,
Ein Seemann nimmt´s leicht, denn er weiss genau, bald ist alles wieder blau.
 
Cuba, April.1960
 
San Juan auf Puerto Rico

Ein paar Tage später stachen wir wieder in See. Diesmal ging es nach San Juan auf Puerto Rico.
Dort, auf einer kleinen felsigen Nebeninsel, war Landbeschuss für unsere Artillerie angesagt. Die Fahrt dorthin entpuppte sich als Höllentrip. Die See wurde rau und rauer. Meterhohe Wellen brachen über uns herein. Einmal war mein Magen kurz unter dem Kinn, dann saß er wieder in meiner Hose. Kaum hatte ich mich daran gewöhnt, rutschte er schon einmal rechts und einmal links an meinen Rippen herunter. Zu allem Überfluss riss es auch noch meine Schreibmaschine aus der Verankerung, nachdem sich unser Schiff ruckartig um fast 45 Grad zur Seite neigte, und schleuderte mich unter den Tisch mit dem Notrufempfänger. Da lagen wir Beide nun. Nur der Kommentar meines Vorgesetzten:,, Take it easy!”(nimm`s leicht) fanden ich und meine Beule am Kopf, gar nicht komisch.
Kurioserweise hat mich diese unsachgemäße Behandlung meiner Kopfhaut hellwach und gefeit gegen Seekrankheit gemacht, so, dass ich noch zwei Wachen von meiner Ablösung, die Opfer dieser schlechten Straße waren, übernehmen konnte, bzw wohl oder übel übernehmen musste. Tags drauf beruhigte sich das Wetter wieder einigermaßen. Die Nacht kam, und mit ihr ein sternenklarer Himmel.
Als der Morgen graute, schickte mich mein Wachleiter, ein Obermaat, übrigens ein prima Vorgesetzter und Kamerad in allen Lebenslagen, mit den Worten nach draußen:,, Du hast jetzt lange genug Funkwache geschoben, geh du schon mal an die frische Luft, wir werden nämlich gleich abgelöst, die Anderen sind wieder fit.” Raus aus dem Funkraum recken und strecken, Augen ausreiben.
Als der Blick dann endlich klar wurde, kam ich aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Die Sonne tauchte gerade am Horizont aus dem Meer, ihre gelblich roten Strahlen zogen eine herrliche Bahn über das Wasser, und hinter dieser Bahn tauchte eine Insel aus dem Meer empor. Wir kamen näher und näher, die Insel wurde größer und größer, und schon konnte ich die ersten Umrisse einer Festung erkennen. Die Morgensonne spiegelte sich gelblich auf den Mauern nieder. Ein wunderschöner Anblick, den ich , damals 18, bis heute nicht vergessen habe.
Es war das Morro Castle, eines der ältesten spanischen Forts in der neuen Welt. Anstatt in den Hafen einzulaufen, ging es eine Weile an der Küste entlang, und dann wieder in die offene See. Nach ungefähr einer halben Stunde tauchte wieder eine kleine Felseninsel auf. Aha, das war es, das Ziel unserer Reise: Landbeschuss für unsere Bordkanonen. Dann ging alles sehr schnell. Unsere Bordgeschütze feuerten aus allen Rohren. Mal Einzelfeuer, dann wieder Dauerfeuer, dazwischen  immer wieder Breitseiten. Es war ein Höllenlärm, vom Pulverrauch ganz abgesehen. Um das alles genau zu beobachten, hatte ich mich neben unserem Funkraum, der unterhalb der Brücke lag, niedergelassen. Irgendwann bin ich dann eingeschlafen. Die langen Wachgänge forderten ihren Tribut. Geweckt wurde ich durch eine Stimme, die zu mir sagte:,, Seemann, aufstehen, Backen und Banken!” Na, wenn es was zu essen gab, war ich immer hellwach. Hatte ich doch tatsächlich runde vier Stunden tief und fest geschlafen, und von dem ganzen Radau nichts mehr mitgekriegt. Während wir zu Mittag aßen, nahm unser Zerstörer Kurs auf Puerto Rico.
Ab Nachmittags hatte ich Landgang, von dem aber nichts außergewöhnliches zu berichten gibt. Es wurde früh dunkel, und abends gleichen sich die Hafenstädte irgendwie. Übrigens war es noch Ostern, also ein Wochenende, an dem ein  Seemann, in so einem streng katholischen Land, am Besten an Bord und in der Koje blieb. Auf der Überfahrt nach Guantanamo, konnte ich mich endlich wieder mit meinen Gedichten beschäftigen. Und  so bleibt es dem, der dies einmal liest, auch das nicht erspart.
 
Die Krankheit.
Mir war`s nicht heiß, mir war`s nicht kühl, doch hatt` ich ein komisches Gefühl.
Ich konnt` nicht sterben und nicht leben, und musst` mich dauernd übergeben.
Was ich gegessen hatt` vorher, das verschwand ins dunkle Meer,
und die Fische sagten voller Dank, da ist doch einer ganz schön krank.
So ist das nun mal eben, ein Jeder wird sie mal erleben.
Sie ist bekannt , weit und breit, unter dem Namen: SEEKRANKHEIT.
 
Auf  See, von Puerto Rico nach Cuba April 1960
 
 
Von der angespannten Lage, die auf Cuba herrschte, merkten wir in unserem Stützpunkt auf Guantanamo nichts. Wir wussten schon, dass Fidel Castro vor ungefähr einem Jahr in Havanna einmarschiert war, doch das war schließlich Sache der Kubaner.
Nachdem unser Zerstörer wieder Proviant und Munition übernommen hatte, stachen wir wieder in See, nach Key - West/Florida. Von dort aus ging es ab nach Charleston/South Carolina. Trotzdem wir dort ab 18 Jahren keinen Zwängen  unterlagen, war es doch nicht so schön, wie am Anfang. Ich verspürte eine innere Unruhe, ja, ich gebe es zu, ich hatte Heimweh.
 
Charleston-South Carolina

Am nächsten Morgen, schlendere ich immer noch in meinen trüben Gedanken versunken, durch Charleston, als mich ein etwas älterer Herr anspricht. ,,Ich habe gehört, dass ein deutsches Kriegsschiff im Hafen liegt, und nach ihrem Mützenband zu urteilen, (ich hatte wieder meine normale Uniform an) müssen sie von der Besatzung sein.” Nachdem ich das bejaht hatte, war dieser Mann hell auf begeistert. Er sagte mir, dass er auf dem Weg zu seinem Hotel wäre, um zu frühstücken. Dazu lud er mich ein sein Gast zu sein. Im Moment wurde ich stutzig  und dachte in mir: Mist , schon wieder so ein Schwuler. Nun es war ein kalter Sonntagmorgen, es war hell, und gefrühstückt hatte ich auch noch nicht.
Der Mann war ein Deutscher, also hatten wir keinerlei Sprachprobleme. Während des Frühstücks erzählte er mir, dass man  seinen  einzigen Sohn vor einem halben Jahr zu den Marines eingezogen hätte. Da ich in seinem Alter sei, wäre ich heute sein Ersatzsohn. Der nette Mann meinte es verdammt ehrlich, denn während unseres Gesprächs griff er mehrmals zum Taschentuch.
Nachdem er die Rechnung bezahlt hatte, steckte er mir den Rest des Wechselgeldes, es waren immerhin circa 26 Dollar, zu. Auf meinen fragenden Blick hin antwortete er:,, Siehst du, mein Junge, für uns Beide fing der Tag recht mies an. Du hast Heimweh nach zu Hause, und ich habe Heimweh nach  meinem Sohn. Mach dir mit dem Geld einen schönen Tag, denn auch du hast mir etwas gegeben, was du aber erst verstehen wirst, wenn du selbst mal Kinder hast.” Mit diesen Worten verabschiedeten wir uns voneinander. Wenn ich auch damals nicht den tieferen Sinn seiner Worte verstand, heute weiß ich, nachdem ich selbst Familie habe, wie dem Mann zu Mute war.
Am nächsten Tag, bei der Morgenmusterung, erklärte uns unser Kommandant, dass wir sofort anfangen würden, Munition und Proviant zu bunkern. Nach amerikanischem Muster würde das etwa drei Tage dauern. Sollten wir früher fertig werden, würden wir sofort, in Richtung Heimat, in See stechen. Der Jubel war unbeschreiblich. Was dann geschah, kann man kaum beschreiben, das muss man gesehen haben.
LKW um LKW rollten vor das Schiff. Menschenketten wurden gebildet. Von der Pier bis zu den Orten, wohin die Teile mussten. Es war ein emsiges Treiben. Ob Matrose oder Maat bis hin zu den Offizieren, alle reihten sich ein. Sogar unser Kommandant war sporadisch an mehreren Stellen zu sehen. Nur wir Tastfunker durften nicht, denn wir waren, auf See, die einzige Verbindung zur Außenwelt. Das Risiko eines Unfalls wäre zu groß gewesen. Ob man es glaubt oder nicht, gegen vier Uhr nachmittags waren wir fertig.
Gleichzeitig trafen viele höhere internationale Dienstgrade, teilweise sogar mit Frauen, auf der Pier ein.
Nach ein paar kurzen Ansprachen, spielte die bereitstehende Militärkapelle beide Nationalhymnen. Dann legten wir unter einem frenetischen Jubel ab. Die Musiker gaben uns noch , als letztes Stück, dass Lied: „Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus“, mit auf dem Weg, bevor uns der Alltag wieder einholte.
Wir drei Funker hatten längst schon unsere Plätze wieder eingenommen, schließlich brauchte unser Kommandant den neuesten Wetterbericht. Nun, dieser Bericht sah nicht sonderlich berauschend aus. Mit ungutem Gefühl schlich ich mich auf die Brücke und überreichte das vermeintlich vorläufige Ende unserer Heimreise. Der Kommandant las, zog die Stirn in Falten, schaute mich voll an. Als ob er meine Gedanken erraten hätte. Auf einmal lächelte er, und sagte zu mir: “Seemann, auch wenn sie mir den Wetterbericht vor einer Stunde gebracht hätten, wären wir trotzdem in See gestochen.”

Zurück nach Deutschland

Es war schon dunkel, als wir die offene See erreichten. Als hätten die Naturgewalten nur auf uns gewartet, tat sich kurze Zeit später die Hölle um uns auf. Sturm und meterhohe Wellen brachen über das Schiff herein. Mal fuhren wir durch ein Wellental, dann taten sich riesengroße Wellen vor uns auf, waren wir dann auf dem Wellenkamm, dann hatte man das Gefühl, wir würden abwärts, durch das Wellental bis auf den Grund des Meeres rasen. Nach einiger Zeit gewöhnt man sich daran.
Am nächsten Tag, die See hatte sich einigermaßen beruhigt, fiel das Kühlsystem unserer  Kombüse aus, was zur Folge hatte, dass alle verderblichen Waren durch kochen oder braten haltbar gemacht wurden. Mit anderen Worten, in der Cafeteria gab es bergeweise Hähnchen, Frikadellen u.s.w.. 
Zwei Tage später liefen wir nachts den Stützpunkt Hamilton (Bermudas)an. Dort wurde das Kühlsystem repariert und neuer Proviant übernommen. Im Morgengrauen setzten wir unsere Fahrt fort. Raus aus der Suppe, rein in die Suppe. Nach ein paar Stunden hatte uns das Unwetter wieder im Griff. Welle oben, Welle unten, unsere Innereien drehten sich im Kreis. Kühlung wieder kaputt, Hähnchen, Frikos auf die Back u.s.w. Abgemagert oder Kugelrund (abgemagert waren die Seekranken, und die Anderen futterten um so mehr, wozu auch ich gehörte) liefen wir nach fünf Tagen in den Hafen von Sao Miguel/Ponta Delgada, auf den Azoren, ein.
Nach zwei Tagen Erholung an Land, liefen wir, mit neu reparierter Kühlung und frischem Proviant, wieder aus.
Unterwegs begegneten wir dem Luxusliner “Hanseatic.” Nach Austausch einiger Höflichkeiten, d.h.: das Schiff der christlichen Seefahrt streicht als Erstes die Flagge, danach das Kriegsschiff. Danach die Flaggen wieder hoch, die Schiffssirenen heulen ein paar mal auf, die Touristen winken und fotografieren, während wir von so einem Leben noch nicht mal wagen zu träumen. Dann ist das Traumschiff auch schon hinter dem Horizont verschwunden.
Am nächsten Tag eine Durchsage über Schiffssprechanlage:,, Freiwachen in fünfzehn Minuten, Anzug “Hoher Hut”, an Steuerbord antreten.” Die Erklärung folgte auf dem Fuße. Wir erreichen dann die Stelle, an der unsere Kameraden mit der “Pamir” vor ca. zwei Jahren untergegangen sind. Nur sechs Mann überlebten die Katastrophe. Nachdem unser Zerstörer gestoppt hatte, wurden Blumen zu Wasser gelassen. Über die Bordlautsprecher ertönte die Nationalhymne, oder ich hat` einen  Kameraden? Oder Beides? Ich war so ergriffen von diesem Moment, meiner Zeit so entrückt, dass ich noch nicht mal sicher sagen kann, ob es nicht doch eine Schweigeminute war. Jeder, der einmal in einer ähnlichen Lage war, weiß wovon ich rede. Man kann es nicht genau beschreiben, darum versuche ich es auch nicht.

Nach dieser Zeremonie fuhren wir weiter in Richtung des als wild beschriebenen englischen Kanals. Es ist ja schließlich kein Kanal im herkömmlichen Sinne, sondern eine große Meerenge. Doch siehe da, ich habe noch nie so ein glattes Meer gesehen. Man konnte sich direkt darin spiegeln, wären nicht die vielen Tümmler gewesen, die immer wieder auftauchten. Dann näherten wir uns Bremerhaven. Kurze Zeit später fiel der Anker.
Wir mussten auf Reede liegen bleiben, weil der Zoll uns noch ärgern wollte. Anderntags liefen wir in den Hafen ein und machten an der Kaiser-Pier fest.
Aber vorher, am Anfang der Pier, stand sie, inmitten der vielen Angehörigen, ja da stand sie: Meine Mutter! Deutschland ich bin wieder da. Heimat ich komme!